Zugfahrt

Im Berliner Hauptbahnhof im Eingangsbereich steht ein Mann. Er hat einen Vollbart und die Haare haben dies Form und Länge wie sie bei Obdachlosen häufig ist und die man wohlwollend als "rastaähnlich" beschreiben könnte. Er trippelt von einem Fuss auf den andern, ihm ist kalt.

Zwar hat er eine Jacke, aber seine Hose ist völlig zerfetzt und sein nackten Beine sind zu sehen.
Die Hose ist auf eine seltsame Art kaputt, fast so als habe sie jemand mit Absicht zerschnitten.

Er hat keine Schuhe und keine Socken an, steht also barfuss auf dem Steinboden des Bahnhofs. Es ist für Dezember vergleichsweise mild draussen mit ca. 4 Grad, er steht im Bahnhof direkt neben den Türen, da sind's vielleicht 5 Grad. Definitiv zu kalt für seine Beinbekleidung.

Der Mann steht da nur so und trippelt von einem Fuss auf den anderen. Er bettelt nicht, schnorrt nicht, spricht niemand an.

Ich denke er wartet darauf, dass die Bahnpolizei kommt und ihn rauswirft.

Ich überlege was ich für ihn tun könnte. Ich habe keine Hose dabei oder Schuhe die ich ihm geben könnte. Also ausser die, die ich selber an habe. Gleich geht mein Zug nach Frankfurt, ich überlege, ob ich ihm vielleicht meine Hose geben würde, wenn ich gerade von Frankfurt kommen würde und muss fast grinsen bei dem Gedanken, ob mich wohl Taxifahrer mitnehmen, wenn ich bei 4 Grad in der Unterhose rumlaufe.

Mir fällt nichts ein und dann kommt mein Zug.

Im Zug ärgere ich mich plötzlich, dass ich ihn nicht wenigstens gefragt habe, ob ich ihm was zu essen kaufen kann.
Dafür hätte ich noch genug Zeit gehabt.

Der Mitreisende gegenüber im Abteil ist der fetteste Mann, den ich seit langem gesehen habe. Sein Bauch hängt wie ein riesiger Lappen über seinen Hosenbund, und sein Hemd in Übergrösse ist tatsächlich mit 2-3 Essensresten bekleckert. Während der Zugfahrt keucht und atmet er auch im entspannten Zustand schwer, so als würde er um jeden Atemzug kämpfen.

Ich habe meine Kopfhörer vergessen.