Brief in den Knast

Bester KREKTKERZ,

entschuldige bitte diesen Brief aus dem Computer, aber ich habe es mir so angewöhnt, auch wenn es vielleicht etwas unpersönlich aussieht. Nichts desto trotz sitze ja wirklich ich an der Tastatur und fabriziere alle Rechtschreibfehler selbst. Außerdem haben's Deine Vorleser dann leichter. Wer weiß, ob die meine Sauklaue überhaupt entziffern könnten? (Wer weiß, ob Du's könntest?)

Du bemerkst, ich bin kein großer Briefschreiber, andere haben Dir vielleicht schon zwei Briefe geschrieben, ich glänze durch nix tun. Allerdings ist es auch schwer, Dir etwas zu schreiben, welches Thema wählen? Immer nur jammern, "mein Gott wie schrecklich, warum musste es soweit kommen, der arme Junge und ich habe es Dir ja immer gesagt, habe ich das nicht?" Sehr unergiebig dieses Thema und außerdem so nervtötend sinnlos und zu spät.
Andererseits gibt's von draußen nicht viel zu berichten und selbst wenn die tollen Wundersachen passiert wären, soll man Dir das auf die Nase binden (nur damit Du vielleicht in der Zelle sitzt und denkst: "Könnte ich bloß raus hier")?
Ich war in letzter Zeit natürlich viel bei Deinen Eltern und wir haben viel geredet. Sie haben mir viele Fragen gestellt (meist aus dem Bereich "Wie konnte es dazu kommen?") und meistens musste ich antworten: "Eigentlich weiß ich es auch nicht."

Ich hoffe, daß ich bei einem der nächsten Besuchstermine mitkommen kann.
(ca. 15 Jahre später kam raus, dass seine Eltern mir nie geglaubt hatten das ich mit der Sache nichts zu tun hatte und immer dachten, ich sei zumindest auch Abnehmer gewesen.)
Zum Jahreswechsel dann doch "Logo" und natürlich musste ich an 86/87 denken, wo wir im Schwimmbad waren. (Die Unterhose, die Du mir damals geliehen hast, liegt noch immer bei mir rum.)
Jedenfalls hab ich um Mitternacht gedacht, was Du wohl gerade machst in der JVA. Viel langweiliger als bei mir kann's allerdings nicht gewesen sein. Lustig war's nur, wenn ich jemand aus Pes Erzählungen wieder erkannte: "da sei z.B. immer so eine kleine, blonde, süße und tollpatschige." Und ich steh da so um 2.00 Uhr rum, als vor mir so eine kleine, blonde, süße sehr tollpatschig stolpert und fast der Länge nach hinschlägt.
Irgendwie murmelte ich: "Das ist sie" (oder so ähnlich), was sie auch hörte und nicht so recht einzuordnen wusste. (Vielleicht dachte sie, ich hätte gemeint: "Das ist sie, die Frau für's Leben!"… wohl kaum) Später kam Pe und klärte sie auf, allgemeine Belustigung.
Oder dieser Typ, von dem Pe mir schon seit Monaten die Ohren volljammert, der hinter der Theke stehe und mir so ähnlich sei. Nicht vom Aussehen wohl, eher von Gestik und Mimik. Jede zweite Woche erzählt Pe mir neue Storys aus meines Doppelgängers Leben.
Pe: "Ich dachte, was würde Chris jetzt tun… und genau da tut ER es!" Schon die Art, wie er einen Filzstift anfasse, sähe genau aus wie bei mir. (Und ich dachte immer, ich nähme das Ding einfach so in die Hand, mir war nicht klar, daß das nach irgendetwas Besonderem aussieht – einen Stift in die Hand zu nehmen.)
Ich natürlich in dem Laden: glotz, wer könnte es wohl sein?
Und was soll ich sagen? Nach zehn Minuten wusste ich, wer es ist. Nun ist es ja so, man hat ja nicht dauernd einen Spiegel mit um seine Mimik zu prüfen, es ist ja eher ein Zufall wenn man mal mitten im Quatschen in einen Spiegel glotzt.
Aber was ich bei solchen Zufällen von meiner Mimik so gesehen habe… kurz, Pe hatte schon irgendwie Recht.
Am lustigsten: Ich habe ihn so eine Stunde beobachtet und als ich total sicher war, Pe konnte nur ihn meinen, da habe ich ihn angesprochen und sein zweiter Satz war: "Du bist der Ominöse, von dem Pe mir seit Wochen erzählt!"
(Zu diesem Zeitpunkt war Pe noch gar nicht da und als sie dann kam und ich ihr die Sache erzählte, war sie richtig glücklich, daß ihr endlich jemand glaubte.)

Ich weiß nicht, ob ich dies als die herausragende Sache des Abends bezeichnen soll, denn mit Pe kam ihre Freundin. Und mit der verstand ich mich im weiteren Verlauf der Festivitäten sehr … gut … äh … (Pes Kommentar zu ihr: "Na, habe ich Dir nicht gleich gesagt, Christian wird Dir gefallen?" Deren Antwort: "Süß, der Kleine."
Ich möchte nicht wissen, wann mich jemand das letzte Mal als "süß" oder/und "klein" bezeichnet hat.) (Natürlich lernte ich auch jene Frau kennen, welche von DIR zu schwärmen scheint. Oder muß ich sagen von Dir zu Träumen scheint? Wie hast Du das bloß gemacht?)
Okay KRZLKRE, genug gelabert, von meinen Sorgen erzähle ich Dir nächstes Mal, ich wünsche Dir ein gutes neues Jahr (kein Sarkasmus) und was soll ich sagen, halt die Ohren steif…?
Wenn Du irgendetwas brauchst und ich darf es Dir besorgen, sag' es. Ich hatte Dir z.B. auf dem Konzert "Sort Sol" und "aGruhm" in der Rockfabrik eine Schallplatte von "Sort Sol gekauft", weil Du ja Geburtstag hattest. Aber ohne Plattenspieler würde Dir die Platte jetzt wenig nützen, oder? Überhaupt, ich denke, daß Dir Musik am meißten fehlt. (Außer Kirsten natürlich)
Wir werden zusammen Platten hören, wenn Du raus kommst, egal wann. (Scheiß Sentimentalität)





Essen, 20.01.88
Lieber KRZERZLE,

Pe flucht was das Zeug hält und zwar über das Bügeleisen. Mit anderen Worten, sie näht. (Kennst Du ja, zehn Minuten zetern und schreien, zwei Minuten nähen, zehn Minuten jammern u.s.w.) Und ich sitze daneben und versuche einen vernünftigen Brief zu schreiben. (Nein. Das mit den zehn Minuten muß ich zurücknehmen, denn bestimmt liest Pe sich mein Geseire gleich durch und reißt mir den Kopf ab)
So weit, so schlecht. Deine Eltern sagen mir, es ginge Dir (körperlich) jetzt besser und Du hättest beim letzten Besuch ganz gut ausgesehen (besonders im Vergleich zum vorletztem Mal).
Ich versuche oft, mir vorzustellen, wie es im Gefängnis ist, wie man sich fühlt, wenn man sich nur in ein paar Quadratmetern bewegen kann. (Und wenn man weiß, daß es auch noch einige Zeit so weiter gehen wird). Aber so richtig kann ich es mir nicht vorstellen. Vielleicht ist es schrecklich. Vielleicht ist es gut, zwangsweise von mancher Angst und/oder Sucht befreit zu sein. Vielleicht bin ich ein blöder Schwätzer. (Vielleicht alles zusammen?)
Wieso, wirst Du Dich möglicherweise fragen, höre ich mir überhaupt Pes Gefluche an, anstatt mich schnell zu verdrücken.
Das ist eine lange Geschichte und die geht so: Sitze ich am Samstagabend in der Rotation. (Ja, ja, Asche auf mein Haupt, Schande über mich, hoffentlich hat's keiner gesehen) Da kommt auf einmal meine Mutter (echt!) rein. Ich denke schon das Schlimmste, Todesfall in der Familie oder so, aber meine Mutter sagt: "Also da hat einer von der Autobahnmeisterei angerufen, meine Tochter sei mit dem Auto liegen geblieben, ob nicht der Bruder mal vorbeikommen könnte…?"
Meine Schwester kann aber nicht gemeint sein, die wohnt ja nun mal in Frankreich und fährt nicht über die Autobahn bei Jüchen. Sagt meine Mutter auch ganz richtig: "Die meinen wohl Pe." (Früher haben ja auch schon mal Leute gedacht, ich wäre mit Pe verheiratet, weia!) Hatte Pe wohl über diese Notrufsäulen die Meisterei verständigt und denen die Nummer meiner Mutter gegeben, ob sie da anrufen könnten und nach mir fragen, ob ich nicht helfen könnte.
Das haben die Leute in der Meisterei dann auch gemacht (und aufgrund der Namensgleichheit natürlich sofort an Verwandschaft gedacht), nur ich war da ja gar nicht (oh Wunder!). Zufällig wußte meine Mutter aber, daß ich in die Rotation gehen wollte, (Asche auf mein Haupt!) weil ich sie vorher besucht hatte und wir uns etwas unterhalten hatten etc., bla, u.s.w. Und so machte sie sich auf... laber, laber.
Also gut, ich nach Jüchen gefahren (ca. 50 Kilometer), Hank gleich mitgenommen und da stand sie dann auch schon, mit der verrückten Doris dabei: Benz kapott. Während der Fahrt habe es Peng (oder so ähnlich) gemacht. Zuerst dachte Pe wohl noch, ein Reifen sei geplatzt, doch dann sei der Motor ausgegangen.
Erst haben wir dann noch versucht, denn Motor mit allerlei Tricks anzumachen, aber da tat sich nix. Dann haben wir überlegt: was tun?
Das Ding kann ja nicht auf der Autobahn stehen bleiben. (Ach ja, das ist der Motor aus Deinem alten Benz, der da verreckt ist!) Keiner hatte natürlich ein Abschleppseil mit, wir haben dann eins gekauft an der nächsten Tankstelle und schon ging's los. Mit Tempo 50 gen Aachen, die beiden Mädels bei mir im Passat und Hank ohne Heizung hinten im Benz und schon um 2.30 des Morgens waren wir da. Jawoll.
(Das war Teil eins der Geschichte)

Wie Du weißt, –jetzt kommt Teil zwei – hat Pe sich ja vor einem Jahr den Fuß gebrochen und sie haben ihr damals eine Metallplatte eingesetzt. Und so langsam muß das Ding wieder raus. Also Pe zu Arzt. Arzt schreibt Einweisung ins Krankenhaus, Krankenhaus gibt Termin und der ist Morgen. (Echt, heute ist Mittwoch und Donnerstag muß sie ins Krankenhaus) Und da wird sie dann auch einige Tage bleiben. Aber vorher muß sie noch dringend etwas fertig nähen. Und zwar eine Lederjacke, dazu braucht sie Hermanns Spezialnähmaschine.
Nur –und da sind wir bei Teil drei – Hermann wohnt jetzt in Essen (vor zwei Wochen umgezogen).
Also was nun, Pe muß vor Donnerstag nach Essen und hat kein Auto, da muß natürlich Christians Auto oder am Besten fahr ich gleich mit. Und jetzt sitz ich hier mit Pe in Hermanns Wohnung in Essen und höre mir Pes Gefluche an. So kam's.




Aachen, 21.01.88


Ok. Heute ist Donnerstag und Pe ist jetzt schon im Klinikum. Mit ihrem Auto ist offenbar etwas richtig kaputt, ein Typ hat sich die Sache angeguckt und klang gar nicht optimistisch. Sieht so aus, als hätte es Dein Motor hinter sich. Aber nichts Genaues weiß man nicht. Gestern kam Hermann und erzählte von seiner Arbeit. Er ist ja jetzt beim Essener Stadttheater in der Requisite, er muß schon seit einer Woche Bäuche aus Watte nähen, für die "Meistersinger" (so Dinger zum umschnallen, Sachen gibt's.)
So, bevor jetzt hier ein Brief mit Wochenlänge draus wird, jedenTag 15 Zeilen höre ich hier auf und schicke ab.



Alles Gute…,